Hamburger Abendblatt 26./27.08.2017
Die Leserfrage: Da meine Firma zwei große Kunden verloren hat, muss ich einen Mitarbeiter entlassen. Ich habe schon mit meinem 66-jährigen Mitarbeiter, der bereits seit einem halben Jahr Rente bezieht, gesprochen. Er meint aber, dass ich dem 50-jährigen Kollegen kündigen muss, da dieser erst 10 Jahre im Betrieb beschäftigt ist, während er schon 25 Jahre für mich arbeitet. Ist das richtig, obwohl der jüngere Mitarbeiter zwei Kinder hat?
Das sagt Rechtsanwältin Silke Grage: Sie planen eine betriebsbedingte Kündigung Ihres Mitarbeiters, die nur möglich ist, wenn diese sozial gerechtfertigt ist. Hierfür ist es nötig, dass Sie eine Sozialauswahl nach Paragraf 1 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz treffen.
Kriterien sind nach dem Gesetz die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers. Wie diese Kriterien untereinander zu gewichten und zu bewerten sind, ist nicht ausdrücklich festgelegt. Sie müssen vielmehr immer eine einzelfallbezogene Abwägung aller Kriterien vornehmen.
In Ihrem Fall besteht die Besonderheit, dass der betroffene Mitarbeiter bereits eine Regelaltersrente bezieht, er also schon finanziell abgesichert ist. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 27.4.2017, 2 AZR 67/16) ist ein Arbeitnehmer hinsichtlich des Auswahlkriteriums Alter dann als deutlich weniger schutzbedürftig anzusehen als Arbeitnehmer, die noch keine Rente erhalten. Denn bei diesen besteht die Gefahr, dass sie durchgehend oder zumindest für eine bestimmte Zeit beschäftigungslos bleiben und damit auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Rentenbeziehern steht dagegen zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts ein dauerhaftes Ersatzeinkommen zur Verfügung.
Mit der Berücksichtigung der Renteneinkünfte verfolgt der Gesetzgeber nach Meinung der Richter auch ein rechtmäßiges Ziel. Es handelt sich um ein Instrument der nationalen Arbeitsmarktpolitik. Mit dem soll über eine gerechtere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen die wirtschaftliche Existenz von Arbeitnehmern abgesichert werden. Ihre geplante Sozialauswahl ist daher richtig, zumal der jüngere Mitarbeiter noch zwei Kindern unterhaltspflichtig ist, was zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist.