Hamburger Abendblatt: 28./29.4.2018
Womit sexuelle Belästigung beginnt
Auszug:
Wie wird sexuelle Belästigung definiert, wo beginnt sie?
Silke Grage: Paragraf 3 des Allgemeinen Geleichbehandlungsgesetzes sagt: Es ist sexuelle Belästigung, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten vorliegt, wozu unter anderem sexuelle Handlungen und Aufforderungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören. Dieses Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird.
Eine betroffene Frau hat sicher die Sorge, dass sie in Ungnade fällt, wenn sie dagegen angeht, und schweigt. Was raten Sie ihr?
Silke Grage: Bevor die Frau die sexuelle Belästigung öffentlich macht, sollte sie alle Fakten sammeln und dann überlegen, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden sollen. Ansonsten gibt es Verlierer auf allen Seiten. Zum einen werden durch nicht beweisbare Anschuldigungen möglicherweise der Beschuldigte und seine Familie in eine Krise gestürzt. Zum anderen wird auch die Frau schief angesehen. Mein Rat: Sie sollte sich an eine vertraute Kollegin oder Kollegen wenden und mit diesen die Angelegenheit besprechen. Als weitere Kontaktmöglichkeiten kommen ein kompetentes Betriebsratsmitglied oder, wenn vorhanden, auch der betriebliche Compliance-Beauftragte in Betracht. Als weiteres bietet sich natürlich auch die Einschaltung eines Rechtsanwaltes an, der sicherlich hilfreich ist, um den Sachverhalt genau aufzuklären und mögliche rechtliche Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen.
Wie kann die sexuelle Belästigung nachgewiesen werden:
Silke Grage: Häufig finden sexuelle Belästigungen ja unter Ausschluss von Zeugen statt. Es steht dann Aussage gegen Aussage. Für das Vorliegen einer sexuellen Belästigung ist jedoch die Frau beweispflichtig. Gelingt ihr dieser Beweis nicht, ist sie die Blamierte.
Ich berate zurzeit eine junge Mandantin, die von ihrem Vorgesetzten gestalkt wird. Dies können wir durch die Aufnahme eines Gespräches, das sie mit ihrem Smartphone gemacht hat, beweisen. Als weitere Beweismittel kommen auch entsprechende E-Mails oder aber WhatsApp-Nachrichten in Betracht.
Was muss der Arbeitgeber tun, wenn der Vorwurf einer sexuellen Belästigung im Raum steht?
Silke Grage: Ein Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, sein weibliches Personal effektiv vor sexuellen Belästigungen zu schützen. Kann die sexuelle Belästigung der Frau bewiesen werden, kommen als Sanktionsmittel des Arbeitgebers eine Abmahnung, Versetzung oder aber auch eine fristlose oder fristgemäße Kündigung in Betracht. Die meisten Fälle, die ich übernommen habe, wurden dadurch beendet, dass die betroffenen Mandantinnen die Firmen meistens mit Unterstützung der Arbeitsgerichte mit attraktiven Abfindungen verlassen haben.